Zwischen Iser und Neisse (J)

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Die Rechnung des Schärfers ist die klarste. Er schärft täglich 50 Dutzend; in der Woche also 300 Dutzend. Dies entspricht einem Bruttolohn von 7 fl. 50 kr.
  Davon gehen ab: Dreherlohn 50 kr.  
  Krankenkasse 9 kr.  
  Sand und Scheibe 1 fl. 50 kr.  
    zusammen   2 fl. 09 kr.
     
Es bleibt somit ein Reinlohn von 5 fl. 41 kr.

für den Besten. Minder flinke Arbeiter oder Arbeiter bei noch schlimmeren Ausbeutern verdienen 3 bis 4 fl.

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Ein Besuch im „Schleifers Hungerkur“. Schleifers Hungerkur? Was oder wer ist das? Wir werden gleich des Rätsels Lösung haben. Wassertriefend, den Rucksack auf dem Rücken, steht plötzlich der „Wiener Tourist, der noch nie eine Schleiferei gesehen“, in einer niedrigen Schleifmühle. Neben ihm steht ein Fünfziger, dessen Gesicht ein graumelierter Bart umrahmt. Der Ältere hat den jungen Toursisten in die Schleifmühle geleitet, trotzdem der Eintriff strenge verboten ist. Er konnte dieses Gesetz übertreten, da er der Besitzer der Mühle war. Der junge Tourist hat verdächtig lebhaftes Temperament. Er schreitet die Mühle der Länge ab, dann der Quere, freilich wie unabsichtlich, wie um die Arbeit kennen zu lernen, er stößt mit seinem Stock an die niedere Decke, dann steht er einen Moment wie sinnend, wirft gleichg[ltige Fragen hin und empfiehlt sich. Der Alte geleitet ihn noch ins Komptoir und gibt ihm ein Dutzend Ausschußringe „zum Zeigen“ mit...“ Kinder erfreuen sich an den Glassachen,“ meint er zu dem widerstrebenden Touristen, der alle diese Gestfreundschaft mit Undank lohnen muß. Wieder im Freien, memoriert er einig Ziffern: 19, 10, 2 Meter 30, 38. Diese Ziffern sprechen eine furchtbare Sprache. 19 Schritte lang, 10 Schritte breit, 2 Meter 30 Zentimeter hoch ist das Lokal, in dem in qualvoller Enge 38 Menschen fast einer auf dem anderen sitzen und vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht hinein diese gläsernen Dingerchen, die jetzt im Rucksack klirren, sprengen, kugeln, schärfen und schleifen, um den älteren Herrn, der Führer des Touristen war, möglichst rasch zu Vermögen zu bringen. Es ist dies der Herr Wilhelm Pilz, der „Franzl Bauer“ oder „Schleifers Hungerkur“, wie ihn der Schleiferwitz getauft hat, der ärgste Ausbeuter im ganzen Gebirge.

In diese Bude mußte ich kommen, wollte ich das Schleiferelend in seiner ganzen Furchtbarheit kennen lernen. Der gerade Weg blieb mir verschlossen. Herr Pilz ist ein christlich-sozialer Ausbeuter schlimmster Sorte, und seine armen bedauernswerten Arbeiter

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nehmen mit der Aussicht auf ein besseres Jenseits vorlieb, das ihnen Herr Pilz in echter christlicher Nächstenliebe so rasch als möglich zu vermitteln sucht – durch furchtbare Löhne und durch ein mörderisches Arbeitslokal. Hätte Herr Pilz den Zweck meines Kommens gekannt, es wäre mir ergangen wie den sozialdemokratischen Vertrauensmännern der Schleifer, die den Versuch, in diese Werkstätte zu kommen, mit einem Hinauswurf bezahlt bekamen. Nicht nur der „Franzl Bauer“, sondern auch seine Lämmer erhoben sich von der Schlachtbank und nahmen gegen ihre Befreier Stellung. Darum mußte die List herhalten. Herr Pilz, der fromme Mann, wird dies verzeihen, wenn ich mich dafür bemühe, ihn auf den rechten Weg zu führen und ihm echtes Christentum lehren werde.

Zunächst möge er mit mir rechnen. 19 Schritte Länge und 10 Schritte Breite entspricht 14.25 und 7.5 Metern. Dazu die Höhe 2 Meter 30 Zentimeter. Diese schätzungsweise! Dies entspricht einem Luftkubus von 245.8 Kubikmeter. Davon geht der Raum für die Stühle ab. Wir wollen nur ein Zehntel annehmen, also 24.58 Kubikmeter. Der wirkliche Luftraum beträgt also 221.22 Kubikmeter. Der Atmungsraum, den Herr Pilz jedem einzelnen Arbeiter zuweist, beträgt also 5.82 Kubikmeter, anstatt, wie es in diesem allerschlechtesten Betriebe zumindest nötig wäre, 22.5 Kubikmeter. (Anderthalb des Normalen.) Herr Pilz bietet also seinen Arbeitern etwa ein Viertel des Luftraumes, den er ihnen bieten müßte, wollte er nicht die Gesundheit seiner Arbeiter gefährden. Als Christlich-Sozialer und frommer Mann werden ihm hoffentlich die „Zehn Gebote Gottes“ nicht unbekannt sein. Herr Pilz möge sich des Gebotes erinnern: Du sollst nicht töten. Will der Christ Willhelm Pilz dieses Gebot in Hinkunft halten, dann muß er drei Viertel seiner Stühle hinauswerfen und nur ein Viertel seiner Arbeiter, also neun, höchstens zehn, in dieser Bude arbeiten lassen. Sollte er aber an dem Profit, den er aus diesen Menschen zieht, nicht genug haben, dann soll er bauen, und zwar eine viermal so große Lokalität. Sollte ihn dazu nicht sein Christentum bestimmen, so wird diese Publikation vielleicht doch den Gewerbeinspektor veranlassen, bei diesem wunderlichen Heiligen Nachschau zu halten. Die Ausräucherung dieser ärgsten Schinderbude wird von allen Arbeitern im Gebirge wie Erlösung empfunden werden. Zu dem kulturellen Tiefstand der Johannesberger Schleifer, zu ihrem Stumpfsinn und ihrer Teilnahmslosigkeit mit den Leiden des eigenen Ich hat Herr Pilz viel beigetragen.

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Knöpfe, Schwarzglas und Phantasieartikel.

Unter diesem Gesammttitel ist eine Unsumme aller erdenklichen kleinen Glasgegenstände zusammengefaßt, von deren Reichhaltigkeit sich der Laie kaum einen Begriff machen kann. Viele Tausende verschiedener Knöpfe, verschieden in Form, Größe, Farbe und Dekoration; Messergriffe aus Karneolglasimitation; Uhrkettensteine in Hunderten von Mustern; aller erdenkliche Haar- und Hutschmuck, kompakter und hohler, außen kunstvoll geschliffen, Ballons aus schwarzem Glas, Herzen aus Edelsteinimitationen; Mundstücke für Zigarettenspitzen aus Bernsteinglas; Trauerschmuck aus mattem und glänzendem Schwarzglas, Hunderte von Brocheformen allein, wie Blätter, Rosetten, Maschen, Blüten, Sterne, etc., dann Bracelets (Schuppen und Schlangenbänder), Nadeln, Anhängsel, Ohrgehänge; endlich optische Linsen: alles das ist hier zusammengefaßt. In jeder Werkstätte schleifen sich die Arbeiter ihre Finger an anderen Glaskleinartikeln wund. In dieser Branche sind auch die intelligentesten und die am höchsten qualifizierten Arbeiter anzutreffen. Der Hauptort ist Albrechtsdorf, wo übrigens auch Serviettenringe geschliffen werden. Früher war Albrechtsdorf der Hauptort der Lusterbranche. Seit der großen Krise, die zu dem Putsch der Dessendorfer Schleifer führte, ist es damit aus. Ein Augenzeuge der damaligen Ereignisse erzählte mir über den „Kriegszug“ der Schleifer nach Albrechtsdorf Folgendes: Einige Tage nach dem Einfall der tschechischen Sprenger in Wiesenthal im Jänner 1890 zogen die Dessendorfer Schleifer nach Albrechtsdorf. Ihrer 500 stiegen im Schneegestöber auf den Berg, bewaffneten sich im Holzschlag mit Knütteln und marschierten über Marienberg nach Albrechtsdorf in das „Waberloch“, ein von der Höhe ziemlich steil abfallendes Quertal, durch das ein munteres Bächlein seinen Weg nimmt. An ihm steht eine Schleiferei über der anderen. Der bewaffnete Haufe zog nun von Schleiferei zu Schleiferei. Überall suchten sie Brinl und Prismen. Diese wollten sie zertrümmern, in der Meinung, daß die Albrechtsdorfer eine Konkurrenz für die große Masse der Arbeiter bilden. Sie brachen ein. „Was arbeitet Ihr?“ schrien einige. Keine Antwort. Die Arbeiter schaarten sich zusammen. „Wo sind die Birnl? Wo sind die Prismen?“ – „Wir haben keine!“ gab einer zurück. „Dann werden wir suchen!“ Nach dieser Einleitung ging es an die Suche. Alles wurde durchsucht, jeder Winkel. Nichts! Die Schleifer hatten Wind bekommen und hatten Säcke und Kisten voll fertiger Ware in die Transmissionsgruben geräumt. Aber auch dieses Versteck fand der hungrige Haufe.

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Alles wurde heraufgeholt und zerschlagen. Ebenso die Schleifsteine. Die Trümmer wurden in den Bach geschüttet. In einigen Schleifereien gab es ernsten Widerstand. Schleifer setzten sich gegen Schleifer zur Wehre. Mann gegen Mann. Da gab es fürchterliche Situationen. In allen Werkstätten standen damals Wiegen mit Kindern. In einer stand gleich bei der Türe eine Wiege, und darin schlief ein Kind, als die Schleifer kamen. Hier gab es Kampf, der mit wechselndem Glück hin- und herwogte. Mitten im Kampfe stand nur einer ruhig, aber gleichwohl kampfbereit – ein Dessendorfer Schleifer, der sich schützend über die Wiege gestellt hatte, in dem das Kind eines seiner Widersacher lag. Der Bürgermeister Rößler von Albrechtsdorf kam und warnte die Schleifer. Er beschwor sie, von ihrem Wüten zu lassen: „Ihr werdet es nie verantworten können!“ rief er ihnen zu. Diese aber riefen wie aus einem Munde zurück: „Wir werden es verantworten!“ und wüteten fort. Schon am nächsten Tag begannen die Gendarmen mit den Verhaftungen. Die erste Verhaftung wurde vereitelt. Die ganze Masse hatte sich im Nu gesammelt und zog hinterher bis zum Dessendorfer Gemeindeamt. Dort versperrte sie den Gendarmen den Weg. Der Bürgermeister bat die Gendarmen, sie möchten doch bedenken, was sie tun. Tatsächlich ließen die Gendarmen den Verhafteten frei und traten den Rückzug an. Aber sie kamen noch in der selben Nacht verstärkt wieder und holten nun die Schleifer aus den Betten, um sie nach Reichenberg zu schleppen...

Diese Erinnerungen wurden in mir lebendig, als ich durch das „Waberloch“ höher und höher stieg, von Schleiferei zu Schleiferei. Im „Waberloch“ werden heute fast ausschließlich Spezialartikel gemacht, wirkliche Kunstarbeiten, die auch noch so ziemlich gut gezahlt werden. Namentlich die Schlägelarbeiter, denen an vielen dieser Stücke die Hauptarbeit zufällt, sind als gesuchte Arbeiter auch mit den besten Löhnen bedacht, die im Gebirge zu finden sind. Die meisten haben 2 fl. im Tag Verdienst. Die Werkstätten sind rein und nett, nicht überfüllt. In den Wänden hängen auf Nägeln die Schleifsteine der verschiedensten Größen, herab bis zu ganz kleinen Scheiben, die kaum einen Zoll im Durchmesser haben. Wir sind ziemlich hoch oben im „Waberloch“. Die Schleifmühle ist in den steilen Hang derart hineingebaut, daß im rückwärtigen Teile der erste Stock der Vorderfront zum Parterre wird. Darunter ist die Radgrube. In dieses „Parterre unter dem Dache“ mündet nämlich der Mühlbach, dessen Wasser das große Schaufelrad treibt, das in der Radgrube an der Achse läuft. Durch die Fenster der eigentlichen Werkstätte öffnet sich ein herrlicher Blick ins Gebirge und auch das zu Füßen liegende Albrechtsdorf. Vorbei an den

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Schleifmühlen springt der Bach in steilem Gerinne zu Tal, um unten noch Arbeit zu leisten, ehe er in der Kamnitz aufgeht.

Hier oben werden fast durchwegs Kunstarbeiten gemacht. Roh vorgepreßten Blättern aus Smaragdglas oder aus Amethyst wird mit den feinsten Schleifsteinchen von kunstgeübten Händen das Aussehen von fein geschnitzten Bildhauerarbeiten gegeben. Muschelbrochen aus schwarzmattem Glas bekommen die Muschelkerbung, Stiefmütterchen ihr Gesicht, Rosetten ihre zarte Gliederung, kurz, in den Händen der Schleifer werden hier rohe gepreßte Glasgegenstände zu kleinen Kunstwerken, von denen Niemand glauben würde, daß sie aus zerbrechlichem Glas gefertigt sind.

Im Tal lernen wir, von Mühle zu Mühle ziehend, die Veredlung der vielen anderen Schwarzglas- und Phantasieartikel kennen und dabei die Lage der Arbeiter. Hier gleich Karneolzeug. Uhranhängsel, Uhrkettensteine, Stpitzen, Messergriffe und Anderes. Der gewandteste Arbeiter verdient bei 9- bis 10stündiger täglicher Arbeitszeit in der Woche 6 fl. brutto. Für das Schleifen und Polieren von 100 Dutzend Uhranhängseln aus Karneolglas wird beispielsweise 4 fl. 50 kr. gezahlt, und auf jedem der 1200 Stück sind 18 Ecken und 2 Platteln abzuschleifen und zu polieren. Dem Schleifer gehören davon 3 fl. 60 kr., dem Polierer 90 kr. Man trifft es häufig, daß sich Ehepaare so in die Arbeit teilen. Der Mann schleift und die Frau poliert für ihn und noch einen Anderen. Auch hier ist der Dreherlohn üblich.

Er beträgt per Woche 60 bis 80 kr., außerdem muß sich der Schleifer noch sein Schleifzeug, sowie den Antriebsriemen selbst beschaffen und in Stand halten. Ein Schleifkasten mit einem Stein kostet 20 fl. Damit ist den Arbeitern aber nicht gedient. Wollen sie konkurrenzfähigfähig sein und mehrere Artikel machen können, so brauchen sie bis zu vier Steine. Ein solches komplettes Schleifzeug hat einen Anschaffungswert von 50 fl. In einigen Schleifereien ist den Gefahren des Betriebes für die Gesundheit Rechnung getragen. An den Polierstühlen sind Ventilationen angebracht, durch die der Glas-, Holz- und Mineralstaub ins Freie getragen wird. Das ist aber leider nicht überall der Fall.

In anderen Schleifereien begegnen wir allen möglichen Schwarzsachen, besonders Knöpfen zu allen Zwecken, namentlich aber für Frauenkleider. Ein vielbegehrter Spezialartikel sind die siebensternigen Fußsteine, halbkugelförmige Steinchen, in die als Ornament sieben Sterne geschliffen sind. Sie dienen zu Ohrgehängen, Knöpfen, Brochen, etc. Von dieser Sorte allein gibt es hunderterlei Muster, nur der Preis ist derselbe – schlechte. Als dieser Artikel aufkam, wurden 10 kr. für das Dutzend gezahlt, später 7 kr., dann 5 kr., und heute bekommt der Schleifer für 100 Dutzend 4 fl. 50 kr. – trotzdem er mit jedem einzelnen Stück 21 Handgriffe zu machen

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hat und diese mit viel Sorgfalt. Was dabei für ein Wochenverdienst herauskommen kann, kann man sich leicht berechnen. Wie den siebensternigen Fußsteinen, so ist es noch vielen anderen Artikeln der Schwarzglas- und Phantasiebranche ergangen. Sie kommen in Mode, werden allgemein begehrt, bis wieder ein neuer Artikel, ein neues Produkt der Phantasie der Bijouterieschleifer um Anerkennung ringt und von der wandelbaren Gunst der Modedamen auch anerkannt wird. Bei einem größeren Lieferanten, der in Albrechtsdorf eine Mühle besitzt, sah ich schön geordnet eine nach Tausenden zählende Sammlung solcher Muster, die der Markt nicht mehr begehrte. Dennoch stritten sie alle miteinander um die Palme. Ein Muster war schöner als das andere. Und alle abgetan!

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Der Bach als Kindermädchen. In einer Albrechtsdorfer Schleiferei, die sich durch besondere Sauberkeit auszeichnete, traf ich ein eigentümliches Kindermädchen, wie man es sonst weitherum wird suchen müssen. Die Schleifstube, licht und geräumig, hat vier Stühle, von denen einer nicht benützt ist. Der Besitzer und seine Frau bilden zusammen mit einem freien Arbeiter eine Partie. Das vierte menschliche Wesen, das diese zugleich als Wohnstube dienende Schleiferei bevölkert, ist ein Wickelkind, das Erstgeborene des jungen Paares. Es ruht friedlich, unbeirrt von dem Gequietsche der Schleifstühle, in einem Wäschekorb, der auf Wiegenkufen gestellt ist. Vom Korb läuft eine Schnur zum Fuß des Schleifers, der durch Schwenken des Beines die Wiege in schaukelnde Bewegung setzt, so oft das Kind unruhig wird. Wir sprechen darüber, und da erzählt der Schleifer lachend, daß diese Vorrichtung noch lange nicht die vollkommenste auf diesem Gebiete sei. In vielen Schleifereien muß der Mühlbach das Kindermädel machen. Die Schleifer nutzen die Wasserkraft zum Wiegen aus, indem sie an der Spindel eines Schleifstuhles einen Riemen anbringen, der mit der Wiege verbunden wird. Die blasse, gelbe Frau sitzt ernst bei ihrem Polierkasten, als der Schleifer mir diesen Kindermädelmechanismus erklärt. Wie gerne möchte sie den ganzen Tag ihr Kind wiegen – der Schleiferfrau ist es nicht gegönnt.

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Ein Kapitel von den Knöpfen. Wir sind auf unserer Wanderung schon den verschiedensten Knöpfen und ihren Erzeugungs- und Veredelungsarten begegnet. Im Tschechischen den Kalottenknopfdrückern bei der Lampe, in den Schwarzglasschleifereien von Morchenstern und Albrechtsdorf, in den Druckhütten an der Sprachgrenze... Zur Ergänzung nur noch einige Bilder aus Wiesenthal. Die Knopfindustrie ist im Niedergang. Die Schwindelexporteure haben diese Industrie, die Tausenden Arbeit gab, ruiniert. Zu Wiesenthal

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werden namentlich Kalottenknöpfe gemacht, das sind Glasknöpfe, in die ein Plättchen mit einer Metallöse eingedrückt ist. Schon dieses besteht aus zwei Teilen, die zusammengefügt werden müssen. Es ist dies die Arbeit des Biegers. Sie besteht darin, daß der Arbeiter die Öse in ein Metallplättchen steckt und unten verbiegt. Für das Hundert Dutzend bekommt er fünf Kreuzer. Wer gut zahlt, der gibt 6 kr. Im besten Fall kann der Bieger 300 Dutzend im Tag fertig bringen, dann hat er aber den Zeigefinger blutig. Der Bieger steht also auf dem Lohnniveau des tschechichen Lampenarbeiters – fünfzehn bis achtzehn Kreuzer der Tagesverdienst. Es ist noch keine Machine erfunden, die die Öse ins Plattl drücken würde. Sie wäre eine Wohltat für die armen Menschen, die damit, langsam verhungernd, ihren Lebensunterhalt erwerben.

Nicht viel besser sind die Drücker daran. Die Bezirkshauptmannschaft fand zwar bei einer amtlichen Erhebung heraus, daß Glasdrücker 18 bis 20 fl. in der Woche verdienen, ja sogar ein Weihnachtsgeschenk von 3 fl. wurde zu einem Wochenlohn von 18 fl. geschlagen, um zu zeigen, wie gut die Löhne sind, aber es wurde unterlassen, diesem Ausnahmsfall die Regel gegenüberzustellen. Diese ist nach den Angaben der Vertrauensmänner der Arbeiter, daß jener Drücker schon ein guter ist, der 300 Dutzend im Tag fertig bringt. Für das Hundert werden 30, 32 kr., ausnahmsweise 40 kr., aber auch nur 28 kr. bezahlt. Ein Fall ist bekannt, in dem gar nur 25 kr. bezahlt werden. Der Taglohn macht also 1 fl. aus. Viele Drücker finden gar keine Arbeit, eine große Anzahl von ihnen aber nur einige Tage in der Woche. Ich erinnere nur an den Mann der Perlenbläserin, von dem in dem Bilde „Die Klage der Perlenbläserin“ die Rede war. Sein Wochenverdienst betrug seit Monaten 1 fl. 70 kr. Der gepreßte Kalottenknopf muß geschert und gesäumt werden. Die mörderische Kinderhandarbeit des Scherens – des Wegschneidens der Glasbrocke von dem Rand des gepreßten Stückes – haben wir bereits kennengelernt, das Säumen sehen wir in Wiesenthal. Wir treten in eine niedrige Wohnstube. Rechts von der Tür sitzt beim Fenster an einem hohen Schleifstuhl eine alte, hagere Frau. Sie steckt Knopf um Knopf auf ein Holzstäbchen, das in einem Spieß ausläuft, das sogenannte Randelholz, und drückt dann den Knopf an eine in wagrechter Achse laufende Scheibe, die sie durch Treten auf einen Hebel mit Hilfe eines Schwungrades in Bewegung setzt. Das Treten besorgt der linke, unbekleidete, schmierige Fuß. Über der Scheibe hängt ein Topf, aus dem Wasser abtropft. Sie säumt fünflinige Kalottenknöpfe. Sammt dem Scheren bekommt sie dafür per hundert Dutzend

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fünfundzwanzig Kreuzer. Sie rechnet für das Scheren 10 kr., für das Säumen oder Randel 15 kr. Zum Glück bleibt der Schererlohn in der Familie. Ihr alter Mann sitzt bei einem schwarzen Tische, vor sich zwei Knopfhaufen, den ungescherten und den gescherten. Er ist 60, sie 53 Jahre alt, und so sind sie froh diese Arbeit zu haben. Mehr als 150 Dutzend bringen sie im Tag nicht fertig, bei schlechter Ware noch weniger. 150 Dutzend bedeuten aber für zwei Arbeitskräfte einen Taglohn von höchstens vierzig Kreuzern. Sie haben zwei Söhne, arme Glasdrücker, die unterstützen sie. „Ne, da könnt’n wir nä lab’n,“ sage die Frau aufseufzend, „es ist nur, daß m’r arbeit’.“ Und sie arbeiten viel. Im Sommer von 6 Uhr Früh bis 8 und 9 Uhr Abends, und im Winter geht das Werkl auch 12 bis 14 Stunden fort. Es ist ein trauriges Hungerdasein.

Die beiden Alten sind mittelgut gezahlt. Der beste Säumerlohn beträgt 30 bis 35 kr. Die Schwindelexporteure aber, die durch Versandt minderer Ware den Industriezweig schon ganz auf den Hund gebracht haben, zahlen 14 bis 16 kr. für das Hundert Dutzend – Scheren und Säumen. Bei dem Preis würden die beiden Alten also gar nur 22 kr. für zusammen 24stündige Arbeit verdienen. Solche Arbeit können nur Säumer übernehmen, die mit Kindern gesegnet sind. Die armen Kleinen müssen dann, bevor sie in die Schule gehen und wenn sie von der Schule heimkommen, scheren und scheren, bis sie der Glasstaub, den sie fort und fort einatmen müssen, auf „Pfarrers Schleifmühl“ gebracht hat. In der Knopfbranche gibt es auch einen Exporteur, den Herrn Josef Hübner in Morchenstern, der die Arbeitslöhne zum größten Teil nicht in Geld, sondern in Naturalien auszahlt. Er gibt den Lieferanten, und diese geben es den Arbeitern weiter: Wechsel, Stoffe, Naturalien, Anweisungen an Krämerladen – Alles, nur kein Geld. Ein Drücker hat zwei Wechsel von ihm zu Hause – aber kein Brot. Die Bezirkshauptmannschaft als Gewerbebehörde erster Instanz hat in einem Jahr nicht die Zeit gefunden, eine diesbezügliche Eingabe zu erledigen.

Dieser Niedergang der Industrie äußert sich auch in der Lebenshaltung der Lieferanten. Noch zu Anfang der Achtzigerjahre wohlhabende Leute, die 17 bis 18 Drücker beschäftigten, sind sie heute froh, wenn sie für sich selbst genug zum Drücken haben, ihr Besitz ist tief verschuldet und der Gerichtsbote häufiger Gast. Einer, der zugleich Drücker ist, klagt mir: „Da hab’ ich zwei Zentner Druckformen, die alle heute wertlos sind, und doch hat jede einzelne Form 4 bis 5 fl. gekostet. Heute bekomme ich nicht 10 kr. dafür. Ich mußte die Muster ersinnen, mir dazu die Formen machen lassen, muß es heute noch, bekomme aber doch nur dann die Bestellung

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wenn ich zugleich der billigste bin. Sonst bekommt mein Muster ein anderer Lieferant. Ich muß 2 œ Gros Referenzmuster geben, um dann vielleicht eine Bestellung auf 20 Gros zu bekommen.“ Der Musterdiebstahl ist eine schlimme Einrichtung. Er hat auch sehr viel zu dem Niedergang der Knopfindustrie beigetragen. In den letzten drei, vier Jahren sind nach den Mitteilungen der Vertrauensmänner der keramischen Union 47 Perzent der Lieferanten zugrunde gegangen. Die Versuche der Reichenberger Handels- und Gewerbekammer, den Glasknöpfen durch Agitation neue Absatzgebiete zu eröffnen, scheiterten an der Schmutzkonkurrenz der Exporteure. Knöpfe sind überdies Modeartikel. Die organisierten Arbeiter haben ihrerseits auch kein Mittel unversucht gelassen. Sie sind den Hauptursachen des Niederganges, der Ausbeutung der Arbeiter und der schuftigen Herstellung der Ware, entgegengetreten, sie haben mit den Glaserzeugern Rücksprache genommen, daß das Halbfabrikat nur an organisierte Arbeiter abgegeben werde, die die Preise und die Qualität der Ware halten, sie haben versucht, die Glasdrücker zu organisieren, sie haben von ihnen verlangt, daß sie nicht so billig arbeiten sollen, sie haben die Namen dieser Lohndrücker (im doppelten Sinn) veröffentlicht, um dadurch eine Besserung zu bewirken. Alles war umsonst. Es bestand eine Genossenschaft, dann eine Konvention und zum Schluß ein Kartell. Alles scheiterte an der selbstmörderischen Profitsucht Einzelner. Seit einem Jahre ist Alles ruhig. Die Knopfbranche ist todt im Gebirge.

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Die Maler.

 

„Die Maler sind gar große Herr’n,
Vo jedem Knoppe hängt a Zwern,
Die Schleifer gieh’n zerissen,
Sogar mit barb’se Fießen.“

Dieser „Knöttelvers“ aus dem Gebirge hat längst schon seine Berechtigung verloren. Auch die Maler sind nicht mehr die großen Herren, die sogar jeden Knopf ordendlich angenäht haben, auch die meisten dieser Gilde haben nur Knöpfe zum Bemalen, aber nicht zum Annähen. Viel näher der Wirklichkeit kommt die erzählende Strophe, die den Malern in der derben Ausdrucksweise des Gebirges den Rat gibt, dieses Geschäft an den Nagel zu hängen:

*) Ein wenig. A jeden Houndlungshause
Hon se an Haufen Karle zum Schreib’n,
Und bringt m’r was Vergold’tes hin,
So thun se Alle druffe reib’n.
Und hon se su noch langer Zeit
Ei Uftl *) weggerieben,
Ke Stick wird ei’geschrieben.
Ihr lieben Moler saht’s ock ei,
Wie weit wird’s denn noch kumm’,
Schatzt ock uf de Malerei,
Ihr seid doch sunst net tumm.

 

Die Glasmaler im Isergebirge kann man in zwei Gruppen teilen, in solche, die Massenartikel mit dem Pinsel veredeln, wie Knöpfe, Perlenstifte, Serviettenringe – ihre Arbeit ist mehr hand- als kunstfertigkeit, und in solche, die die größeren Glasgegenstände aus den Hütten: Vasen, Obstschalen, Aufsätze, Lampen, Krüge, Service, Kannen, Becher und vieles Anderer, mit dem Pinsel dekorieren. Sie sind Künstler, die im Ornament und im Figuralen gleich zugänglich sind – kurz, sie sind zu den besten Produktivkräften des österreichischen Kunstgewerbes zu zählen. Der Großstädter, der im Trubel des Straßenverkehrs vor dem Schaufenster einer großen Glasniederlage einen Augenblick Halt macht und die stilvoll bemalten Glassachen – oft mit dem Gefühl des Begehrens – betrachtet, ahnt es wohl nicht, daß fast alle diese Malereien auf den Gläsern nicht nur von den Händen der Maler gefertigt sind, sondern daß

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auch die Entwürfe geistiges Eigentum der Maler sind, die in der Riedl’schen Malerwerkstätte in Polaun oder in den Häusern von Harrachsdorf oder sonstwo in einer österreichischen Glasfabrik sitzen und Tag für Tag nach Neuem sinnen, Neues komponieren und auf das Glas werfen. In dem Graf Harrach’schen Mustersaal in Harrachsdorf – er ist eine weltberühmte Sehenswürdigkeit – kann man das stete Fortschreiten dieser Kunsthandwerker in der edelsten Deutung des Wortes beobachten. Man nehme die letzten zehn Jahre nur! Von den süßlichen Amorettenbildern in Rokokorahmen, von den überladenen Blumenstücken und „Schmetterlingsschlachten“ kann man den Gang der Entwicklung bis in die jüngsten Tage, in die Tage der „Jugend“ und schon wieder darüber hinaus verfolgen. Die steif stilisierte Natur hat schon weicheren Formen der Wirklichkeit Platz gemacht, die gleichwohl den Charakter des Modernen, der „Sezession“, wenn man will, trägt. Auch englische Einflüsse machen sich geltend. Abends setzt sich der strebsame Maler zur Studierlampe und blättert und blättert in großen Vorlagenwerken, die ihn mit dem modernen Geschmack vertraut machen. Die Malerei ist fast durchwegs Akkordarbeit, und zwar so schlecht gezahlte Akkordarbeit, daß die Gehilfen einen Durchschnittslohn von 7 bis 8 fl. haben. Das muß schon ein sehr guter Gehilfe sein, der 9 bis 10 fl. verdienen will, viele haben auch nur 5 bis 6 fl. in der Woche – dies bei zehnstündiger täglicher Arbeitszeit. Die Meister haben gerade ihr Drauskommen.

Noch schlechter wie diese künstlerisch geschulten Arbeiter, von denen mancher in der Kunstgewerbeschule seine Ausbildung genossen hat, sind die Maler in der Glaskleinindustrie daran. Wir stoßen hier auf fast so viel verschiedene Preisansätze, als es verschiedene Artikel gibt. Die Lohnbeispiele, die wir berechnen, erlauben den Schluß, daß der beste Arbeiter bei zehnstündiger Arbeitszeit 1 fl. 20 kr. bis 1 fl. 50 kr. im Tag verdienen kann, daß aber die minder qualifizierten 1 fl. und sehr oft noch weniger erschinden. Die Preise sind nach dem Gros. Feuerung und Farben – insbesondere viel Gold brauchen diese Maler – muß der Maler selbst dazu geben. Dies repräsentiert immer ungefähr ein Viertel des Bruttolohnes. Die Malerei wird in kleinen Werkstätten betrieben. Die Hauptorte sind Wiesenthal und Gablonz. Den Gehilfen zahlt der kleine Meister heute in der Regel festen Lohn, der selten höher als 7 fl. bis 7 fl. 50 kr. ist. Andere Meister arbeiten ganz allein. Bei einem solchen, einem Vater von fünf Kindern, erhoben wir einen Jahresverdienst von 500 fl. Davon muß er 80 fl. Zins und 6 bis 7 fl. für den Gewerbeschein zahlen. Er bemalt Knöpfe. Ein Anderer, ein Serviettenringmaler, rechnet uns vor, daß er im Tag – er arbeitet mit der Feder – 15 Dutzend Paare machen kann. Sein

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Tagesverdienst beträgt gar nur 70 bis 80 kr. Will er 1 fl. verdienen, so hat er fest zu tun. Ein dritter Maler mußte auf Manschettenknöpfe eine Lyra malen. Er bekam per Gros 2 fl. Dieselbe Arbeit übernahm ein hungriger Konkurrent zu 1 fl. 20 kr. Man denke, 144 Lyren, wenn auch noch so primitiv, um 1 fl. 20 kr. zu malen und dazu noch Feuerung und Farbe zu geben! Dazu meinte der Maler: „Ob er’s kann oder nicht, er macht es, denn heute treffen sie Leute, die nichts zu tun haben und es gerne um a paar Sechser heruntermachen. Es wird nich mehr lange dauern, so könn’se Alle nä mieh’!“ Wie die Preise gesunken sind, dafür ein Beispiel. Ein Globus als Uhranhängsel wurde früher um 10 kr. mit der Karte bemalt, jetzt wird für das Bemalen von 100 Dutzend, also von 1200 Stück, 5 fl. gezahlt, das ist per Stück 0.41 kr. Das ist mit allen Preisen so. Dabei brauchen die Maler allerlei Behelfe. Den Brennofen, Farbenreibplatten, Blechfließen zum Auflegen der bemalten Gegenstände im Ofen. Da muß immer und immer widder nachgekauft und nachgebessert werden.

Die Frauen der Maler bekommen auch ihren Teil weg. Sie müssen die Knöpfe lieferfertig machen, das ist auf Kartons aufnähen. Dafür zahlt der Exporteur 1 bis 2 œ kr. per Gros. Totz dieses elenden Preises muß die Frau mithelfen, denn der Maler kann sich nicht anders helfen. „Es ist wirklich mit unsere Malerei so weit,“ sagte mir ein Meister, „daß ich nicht einen Sechser am Sunnt’ch habe, wenn ich nicht die ganze Woche zu tun habe oder wenn mir auch nur ein einziger Tag mißlingt.“ Viele Exporteure nützen die Widerstandslosigkeit der Maler auch noch in der Weise aus, daß sie, wie wir dies bei den Glasspinnern in Gablonz gesehen haben, noch 7 Perzent an Rabatt und Kassaskonto von den ohnehin gedrückten Löhnen abziehen. Wer alles dies hört und das harte, entbehrungsreiche Leben dieser Menschen an sich vorüberziehen sieht, der begreift es, daß der Spruch: „Die Moler sind gar große Herr’n“ schon jede Geltung verloren hat. Auch die Glasmaler im Isergebirge sind – ob Meister, ob Gehilfe – Proletarier, die in ihrer Widerstandslosigkeit gegenüber den Exporteuren immer mehr und mehr herabkommen. Eine regere Anteilnahme an den Kämpfen ihrer Brüder in den Schleifstuben und Druckhütten und der hausindustriellen Perlenbläser würde ihnen nur zum Vorteil gereichen.

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Abschied! Nach 16tägiger Wanderung von Hütte zu Hütte, von Werkstatt zu Werkstatt, hielt ich einmal gründlich Abendrast. Es war in Harrachsdorf. Ein großer Kreis von Arbeitern, Glasmachern: Schleifern und Malern hatte sich zum Abschiedstrunk zusammengefunden. Viel Ernstes wurde gesprochen,

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aber auch mancher charakteristische Spaß aus dem Gebirge wurde zum Besten gegeben. Sobald sie einmal im Erzählen waren, wußte Jeder etwas. Einer hatte die guten Lehren erlauscht, die eine Wirtin ihrem heiratslustigen Töchterlein gab. Sie hatte vier Freier: Einen Maler, einen Schleifer, einen Glasmacher und einen Finanzmachaufseher. Da ihr die Wahl schwer wurde, gab ihr die Mutter folgenden Rat: Die Moler ‘dien [Verdienen.] nischt, die Schleifer saufen, die Glosmacher bring’n nischt als Dreck heem – konnst D’r ‘n N’anzer [Finanzer.] nahm’n, dar hot’s Genannte.[Fixe.] Von den Schleifern wurden auch sonst noch heitere Geschichten mitgeteilt. Einer hatte sich das schwere Leben leicht gemacht, indem er einfach Alles schuldig blieb. Zur Zeit brachte er seinen Sohn in die Lehre. Bei der Übergabe vereinbarte er mit dem künftigen Lehrmeister des Sohnes: Er soll sich ock was in die Tasche verdien’. Für die Kost, fügte er stolz zu, brauchen meene Kinder nischt zu gahn [Beben.], da ga ich och nischt... Daß dieser Schleifer auch einer jener lustigen Kumpane war, denen die Arbeit immer zu lang war, kann man sich denken, und wie oft mag er am „Mont’ch“früh, da er in die Schleifmühle kroch, den lustigen Stoßseufzer ausgestoßen haben: „Die Woche is wie ogestemm“ [Angestemmt, nicht zum wegbringen.].

Als ich am nächsten Morgen mit dem Frühesten aufbrach, um Abends vom Koppenhaus aus den Blick weit in die Lande zu senden, da beschlich mich ein Gefühl wie Wehmut. Mein treuer Führer Genosse Häckel aus Dessendorf, der mit mir von Dorf zu Dorf, von Hütte zu Hütte gewandert war und mir so treu geholfen hatte, das Material zu sammeln, drückte mir zum letztenmale die Hand. Dann stieg ich bergan und er wanderte wieder zurück in das Land zwischen Iser und Neiße, wo ich so viele gedrückte und verelendete, aber auch trotzig tapfere und brave Menschen kennen gelernt hatte, die zu Nutz und Frommen ihrer Brüder im zerschlissenen Arbeitsrock keine freie Minute ungenützt lassen, um sich fortzubilden und sozialdemokratische Aufklärungsarbeit im Kleinen zu verrichten. Wenn ich mit der vorliegenden Schrift auch mein Schärflein zur Aufklärungsareit beitrug, indem ich mich bemühte, die schlimmsten Wunden bloßzulegen, dann soll dies mein schönster Lohn sein. Es lebe der Nächste...!

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Inhaltsverzeichnis

In der Glashütte.

Der Glasmacher an der Arbeit. – Ein Hohlbläser. – Von dem dritten Ofen. – In den Glasmagazinen. – In der Ziehhütte.

Die Besatzsteinindustrie.

Bei den Lampenarbeitern. Der erste Eindruck. – Bei einer Wöchnerin. – Die Wohnung als Ziegenstall. – Die Arbeit des Lampendrückers. – Der Verdienst bei feinster Ware. – Lohn des Gehilfen. – Der Käufer der feinsten Ware. – Die zweite Frau. – Arbeitsstätten. – Unabhängige Arbeiter. – Anreiherinnen. – Der bethlehemitische Kindermord des Kapitalismus. – Der Lotterieteufel. – Haushaltsrechnungen. – Eine Drückerin, Stundenlohn 1 1/5 Kreuzer. – Die elendste Hütte. – Das Mittagmahl im Schieferbruch. – Das Glück der Abbrandler. – Die Wirkungen des Industrieniederganges. – Der Feldbau. – Der reichste Wochenverdienst. – Im „Tuberkulosenheim“. – Die Kitt- und Lötsteinchendruckerei. – Ein Glasarbeitertanz. – Bei einem Knopfdrücker.

In den Druckhütten. In der „Schanknahrung“.

Gablonz.

Bei einem Glasspinner. – Hemd- und Manschettenknöpfe. – Die Gablonzer Gürtlerei.

Die Perlenindustrie.

Die Hohlperle. Die Produktivgenossenschaft der Perlenerzeuger. – Bei den Perlenbläsern. – Der Werdegang der Perle. – Acht Mägen und eine Arbeitshand. – Bei Fertigmachern. – Der Jammer der Witwe. – Die Knechtperle. – Menschenliebe. – Die Klage der Perlenbläserin. – Die Atlasperle. – Die Pariser Feingoldperle.

Von der Spreng- und Schmelzperle. Bei den Perlenschleifern. – Die Raffinierung der Schmelzperle.

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Im Schleiferlandl.

Die Kristallschleiferei. Bei Lohndrückern. – Bei den Kristallschleifern.

Die Flaconindustrie. In den Schleifmühlen. – Die Hohlschleifer. – Im Dunkelthal. – Bei Feuerpolierern.

Die Serviettenringbranche. Wie entsteht der Serviettenring? – In der Klaar’schen Fabrik. – Groß- und Klein-Semmering. – Ein Besuch in Schleifers Hungerkur.

Knöpfe, Schwarzglas- und Phantasieartikel. Der Bach als Kindermädchen. – Ein Kapitel von den Knöpfen.

Die Maler.

Abschied.

Zwischen Iser und Neisse! 130 1900